In meinem religiösen Elternhaus war Gott, je nach erzieherischem Bedarf, abwechselnd der liebe Gott und der Herrgott – Zuckerbrot und Peitsche sozusagen. Wer sich einem solchen Gott fügt, hat im Leben ausgesorgt. Er muss sich über nichts Gedanken machen und keinen eigenen Willen haben; denn die Gedanken und der Wille des Herrschenden sind das allein Seligmachende für eine Knechtsnatur. "Wenn ich schwach bin, so bin ich stark" (2 Kor 12, 10), sagt darum Paulus, der "geringste unter den Aposteln" (1 Kor 15, 9) des HERRN Jesus Christus.
Wer sich dessen Herrschaft unterstellt, ist durchaus gegen Größenwahn gefeit. Die denkbar höchsten Ziele werden Gott sei Dank ohnehin erreicht, nicht unbedingt in absehbarer Zeit, doch stets früh genug für die Ewigkeit. Dagegen neigen Menschen ohne Gottergebenheit immer wieder leicht dazu, sich zu übernehmen und aus eigener Kraft zu hoch gesetzte Ziele anzustreben, dieses oder jenes Paradies auf Erden. Uneingedenk der eigentlich hinlänglichen Menschheitserfahrung, dass in der Geschichte wie überhaupt in der Natur ein Recht des Stärkeren gilt, das nur durchwachsene Zustände herbeiführt, keineswegs ideale. Bestimmteres ist aus dem Lauf der Welt nicht herauszuholen.
Immerhin kann sich der als Evolution verstandene Weltlauf geradezu "Ewigkeiten" lang Zeit für große Überraschungen nehmen. Wie unvorstellbar sind doch Jahrmillionen und -milliarden, in welchen die Natur fortwährend über sich selbst hinauswächst! Wie wenig haben dagegen metaphysische Träume und weltanschauliche Utopien zu bieten! So viel mag dennoch von dem biblischen Gebetsspruch bleiben: Unsere Stärke ist eine unglaublich unbekannte Größe. Als hätte sie diese evolutionär-agnostische Sicht vorwegnehmen wollen, meidet die hebräische Bibel mit den vier Konsonanten JHWH einen aussprechbaren Gottesnamen.
QUELLE
Lutherbibel
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