Freitag, 19. Juni 2015

Gestalten

Das Tätigkeitswort "gestalten" kommt von "stellen". Stellen heißt stehen machen, zum Stehen bringen. Das Stehenmachen ist nicht zu verwechseln mit dem Stehenlassen. Beim Stellen bleibt das Umstellen nicht aus. Ebensowenig beim Gestalten das Umgestalten.

Es gibt nichts, was erst Gestalt gewinnt, wo gestaltet wird. Was beim Gestalten unterbunden wird, ist die Gestaltfindung. Die vollbrachte Gestaltfindung hütet sich samt der gefundenen Gestalt vor dem Gestalten, das heißt vor dem Umgestalten, das heißt vor dem Verunstalten. Das Seinlassen einer Gestalt, die immer eine einzigartige Konstellation darstellt, ist eine hohe Kunst; das umgestaltend-verunstaltende Gestalten dagegen eine Niedertracht.

Diese Kritik des Gestaltens fügt sich einer Kritik machenschaftlichen Handelns ein, das in unterschiedlichster Gestalt den Blick auf das Ganze verstellt. Machenschaftliches Handeln reißt alles, was ihm unterkommt, aus dem Zusammenhang und ist damit ein versuchter Übergriff auf das Ganze. Selbstverständlich übernimmt es sich bei diesem Versuch.

Das Ganze versteht die Konstellationen einzurollen. Es überlässt sie den Angriffen dergestalt, dass diese ihnen im Grunde nichts anhaben, sondern eine Zeitlang an ihnen sich bloß verausgaben können. Seine angestammte Stelle verliert das Herausgerissene allenfalls vorübergehend. Dem wahren Seinlassen kann zugetraut werden, das Unwahre bis zur Erschöpfung gewähren und einstweilen "konstruktive" Ratschläge geben zu lassen wie diesen: "Gestalten Sie! Sonst werden Sie gestaltet." 

LITERATUR
  • Heinrich Rombach (1971): Strukturontologie. Eine Phänomenologie der Freiheit
  • Sonja Radatz (2015): Gestalten Sie. Sonst werden Sie gestaltet. Relationales Selbstmanagement in der Praxis