In einem Märchen der Brüder Grimm – Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack – "speit dir das gute Tier Goldstücke aus, von hinten und von vorn". Das klingt eher nach einem mit dem Zeitwort "losen" zusammenhängenden glücklichen Los, nämlich für den Schneidersohn, der am Ende seiner Müllerlehre den Goldesel bekommen hat. Und ein Goldstück ist daher schon eher mit einer Losung im allgemeineren Sinn des Wortes vergleichbar.
So könnten die "Losungen", die Jahr für Jahr von der Evangelischen Brüder-Unität herausgegeben werden, auch 'biblische Goldstücke' heißen; denn es sind jedesmal neu ausgeloste Verse des Alten und Neuen Testaments aus einer für besonders erbaulich gehaltenen Vorauswahl. Wobei ich hier von echten Losungen erst sprechen würde, wenn sämtliche gut 30.000 Bibelverse in der Lostrommel lägen und nicht nur die etwa 1.800 unbedenklichsten.
Die Kirche hat zu allen Zeiten Mitglieder als "Häretiker" angeprangert und ausgeschlossen, denen sie vorwarf, nur einen "gewählten" Teil (griechisch "haíresis" = Wahl) für das Ganze der Heiligen Schrift auszugeben. Als ob es nicht auch stets kirchenamtliche Losungsmanipulationen gäbe! Die Kirche täte darum besser daran, sich als "allgemeine" abzuschaffen, statt im Namen einer verlogenen Katholizität (griechisch "katholikós" = allumfassend) immer nur mit der offiziellen Häresie eine abweichende zu bekämpfen. Dem Recht jedes Menschen auf eigene Losungen wäre damit eines der größeren Hindernisse aus dem Weg geräumt.
Märchen
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