Dienstag, 16. Juni 2015

Scheusal

Hin und wieder nannte Mama ihr Töchterchen in unserer Mundart "Scheysel", zu deutsch "Scheusal", obwohl die Kleine kaum etwas angestellt hatte. Manchmal genügte ein Lächeln des Mädchens, das ihm derart mehr Schimpf eintrug als das gewöhnlichere "Frechdachs". So beliebt man in Familien – und dann auch noch ihren unschuldigsten Mitgliedern gegenüber – zu scherzen. Das verstehe, wer will!

Ich will da lieber ein wenig erkunden, wem diese Bezeichnung ohne Scherz gebührt. Anders als gehofft, werde ich diesbezüglich in Alice Herdan-Zuckmayers verfilmter Emigrantengeschichte "Das Scheusal" noch nicht recht fündig. Der Titelheld "Mucki" ist zwar ein Monster von einem Hund, aber dennoch kein eindeutiger Erfolg meiner Fahndung.

Jetzt erinnere mich an ein garstiges Wesen, das einen geeigneteren Kandidaten für ein echtes und rechtes Scheusal abgeben dürfte. Wie war das noch? Eine Königstochter lehrt er das Fürchten; denn sie versprach ihm leichtfertig eine unmoralische Belohnung, als er ihr einmal aus der Patsche half. Doch nun wird mir klar: das war bloß ein garstig aussehender Frosch, der sich als "Königssohn mit schönen und freundlichen Augen entpuppte". Wieder Fehlanzeige!

Aber gab es nicht noch einen anderen Frosch. Ich meine den Menschenfeind dieses Namens. Er hieß nicht direkt "Frosch", sondern "Grenouille", doch das heißt nun einmal "Frosch" auf Französisch. Auch Grenouille ist einer, der "Königstöchtern" nachsteigt, den schönsten jungen Mädchen. Aber nur, um sie zu töten, damit er sie "welk riechen" und ihre Düfte konservieren kann.

Endlich habe ich ein typisches Scheusal ausgemacht! Doch bestimmt ist mir noch manches andere und viel wirklichere durch die Maschen gefallen.

QUELLEN
Brüder Grimm: Der Froschkönig
Patrick Süskind: Das Parfum