Dienstag, 9. Juni 2015

Naturalismus

Die naturalistische Weltanschauung versteht sich als Monismus und positioniert sich dergestalt gegen jeden Dualismus, aber auch gegen jeden anderen Monismus. Für alle Monisten ist die Wirklichkeit ein einheitliches Weltgeschehen. "Was die Welt im Innersten zusammenhält", ist zwar unbekannt, aber man kann ja versuchen, alles möglichst einfach zu erklären, nämlich mit möglichst wenigen Voraussetzungen. Also mit möglichst nur einer Voraussetzung – griechisch "mónos" = allein.

Für Naturalisten ist die alleinige Voraussetzung die Gesetzlichkeit der Natur. Damit argumentieren sie gegen jeden spirituellen Monismus, besonders gegen den jüdisch-christlich-islamischen Monotheismus, dessen alleinige Voraussetzung der Wille des einen geglaubten Gottes ist. Der spirituelle Monismus hat sich zu einem Dualismus von Natur und Geist entwickelt. Nach diesem gehört es zum Willen Gottes, seinem ebenbildlichen Geschöpf, dem Menschen, einen eigenen Willen zu geben, den dieser zu freiwilliger Gottergebenheit oder auch zur Abwendung von Gott gebrauchen kann. Unter dieser Zusatzvoraussetzung konnte es sowohl zu einem gläubigen als auch zu einem ungläubigen Humanismus kommen.

Der ungläubige Humanismus ist ohne Weiteres noch kein Naturalismus. Indem der Humanist den eigenen Willen des Menschen hochhält, stellt er ihn über die Natur. Die Eigenwilligkeit erlaubt es dem Menschen, sich die Natur zum Objekt seines Erforschen- und Beherrschenwollens zu machen. So hat sich der Mensch den Naturgewalten mit aller Macht entgegengesetzt, um alle Welt zu humanisieren. Der Naturalist dreht diesen Spieß um. Für hat die Erforschung der Natur zu der Einsicht geführt, dass der Mensch wie alle anderen Wesen ein Zufallsprodukt der kosmischen Evolution und damit zu einer Naturgebundenheit verurteilt ist, aus der ihn weder ein eigener noch ein göttlicher Wille freisetzt.

Unter der naturalistischen Voraussetzung ist es allein das naturgesetzliche Spiel von Zufall und Notwendigkeit, dem sich zum Beispiel die Shakespeare-Stücke und die Mozart-Kompositionen verdanken. Die Evolution hatte immerhin unvorstellbar viel Zeit dafür, knapp 14 Milliarden Jahre. Das ist aus naturalistischer Sicht Zeit genug, um nicht nur auf der Erde, sondern auf unzähligen weiteren Planeten Zivilisationen zu "evoluieren", die noch auf ganz andere "Kunstschöpfungen" stolz sein können. Wobei dort überall ähnlich wie in unserem Himmelswinkel die "Werke" der Destruktivität den schönen Meisterwerken an Präsenz nicht nachstehen dürften.

Gewiss, wir können tun und lassen, was wir wollen, ohne an der möglichen Grundgegebenheit etwas zu ändern, dass eine göttliche oder natürliche Allmacht vom Größten bis ins Kleinste die Geschicke lenkt, blind oder weise. Aber wir können eben tun und lassen, was wir gefühlt und schwebend zwischen echt und täuschend echt selber wollen. Wir können auch diese Freiheit für ganz naturwüchsig halten, brauchen sie uns von keinem Naturalisten wegerklären zu lassen. Dessen Naturverständnis kann außerdem so eng sein, dass dieser beengstigende Spuk morgen schon – ganz monistisch – vorüber ist. In der so oder so ausdeutbaren Natur offenbart sich nichts, was entscheidend dagegen spricht, an lieben Gewohnheiten, allen voran dem Wohlwollen, festzuhalten.